Die Illusion der Einfachheit
Haferdrinks suggerieren durch ihre Aufmachung Natürlichkeit. Bilder von goldenen Getreidefeldern und Versprechen wie „pflanzlich“ oder „aus vollem Korn“ erwecken den Eindruck, hier würde lediglich Hafer mit Wasser vermischt. Tatsächlich benötigen Hersteller jedoch eine Reihe von Hilfsstoffen, um aus Getreide ein milchähnliches Produkt zu erzeugen. Emulgatoren sorgen dafür, dass sich Fett und Wasser verbinden. Stabilisatoren verhindern das Absetzen fester Bestandteile. Säureregulatoren beeinflussen den pH-Wert und damit die Haltbarkeit.
Das Problem beginnt bereits bei der Deklaration. Viele dieser Substanzen müssen zwar aufgeführt werden, erscheinen aber unter E-Nummern oder chemischen Bezeichnungen, die nur Fachleute zuordnen können. Phosphate, Calciumcarbonate oder Gellan verstecken sich hinter wissenschaftlich klingenden Begriffen, die beim schnellen Einkauf mit Kind im Schlepp kaum jemand hinterfragt.
Welche Zusätze besonders häufig auftauchen
Bei der Analyse gängiger Haferdrinks fällt auf, dass bestimmte Zusatzstoffe besonders verbreitet sind. Öle – meist Raps- oder Sonnenblumenöl – verleihen dem Produkt eine cremige Konsistenz und imitieren den Fettgehalt von Kuhmilch. Ohne diese würde der Drink wässrig wirken und kaum Akzeptanz bei Kindern finden.
Calciumcarbonat wird häufig zugesetzt, um den Calciumgehalt künstlich anzuheben. Während dies auf den ersten Blick positiv erscheint, verschleiert es die Tatsache, dass das Getränk von Natur aus kaum Calcium enthält. Eltern wiegen sich in falscher Sicherheit, wenn sie glauben, ihr Kind würde durch den Haferdrink ausreichend mit diesem wichtigen Mineralstoff versorgt. Die Bioverfügbarkeit solcher zugesetzten Mineralstoffe unterscheidet sich zudem oft erheblich von natürlich vorkommenden Varianten. So kann der Körper etwa Calciumcarbonat besser aufnehmen als Tricalciumphosphat.
Besonders bedenklich wird es bei Aromen. Selbst wenn „natürliches Aroma“ auf der Packung steht, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass dieses aus Hafer stammt. Natürliche Aromen können aus einer Vielzahl pflanzlicher oder tierischer Quellen gewonnen werden – Hauptsache, sie sind nicht vollständig synthetisch. Für Eltern, die bewusst vegan einkaufen, kann dies eine unangenehme Überraschung sein.
Die Zuckerfalle in unverdächtiger Verpackung
Ein weiterer kritischer Punkt ist der Zuckergehalt. Während einige Varianten tatsächlich zugesetzten Zucker enthalten – meist erkennbar an Begriffen wie „Rohrzucker“ oder „Agavendicksaft“ in der Zutatenliste – entsteht bei anderen der süße Geschmack durch enzymatische Prozesse während der Herstellung. Dabei werden langkettige Kohlenhydrate aus dem Hafer in kürzere Zuckermoleküle aufgespalten. Das Ergebnis: ein hoher Zuckergehalt, der nicht als „zugesetzter Zucker“ deklariert werden muss.
Für Kinderzähne und den Blutzuckerspiegel macht es jedoch keinen Unterschied, ob der Zucker zugesetzt oder durch Verarbeitung entstanden ist. Manche Produkte kommen so auf Zuckerwerte, die einem gesüßten Getränk in nichts nachstehen – und das, obwohl sie als gesunde Milchalternative vermarktet werden.
Warum gerade Kinder besonders betroffen sind
Kinder reagieren empfindlicher auf bestimmte Zusatzstoffe als Erwachsene. Ihr Stoffwechsel befindet sich noch in der Entwicklung, die Entgiftungsmechanismen der Leber arbeiten nicht mit voller Kapazität. Substanzen, die bei Erwachsenen problemlos verstoffwechselt werden, können bei Kindern zu Unverträglichkeiten oder Überreaktionen führen.
Phosphatzusätze werden kritisch betrachtet, da größere Mengen davon den Nieren schaden können – ein besonders wichtiger Aspekt bei Kindern, deren Organe sich noch entwickeln. Stabilisatoren wie Gellan, Guarkernmehl oder Johannisbrotkernmehl sorgen für die richtige Konsistenz, können aber bei empfindlichen Kindern zu Verdauungsproblemen führen.

Der Blick auf die Zutatenliste will gelernt sein
Wer versteckte Zusatzstoffe identifizieren möchte, braucht mehr als nur guten Willen. Die Reihenfolge der Zutaten gibt Aufschluss über deren Menge – je weiter vorne, desto höher der Anteil. Steht Öl an dritter Stelle, macht es einen erheblichen Teil des Produkts aus. Lange Zutatenlisten sind generell ein Warnsignal. Ein Haferdrink, der tatsächlich nur aus Hafer, Wasser und vielleicht einer Prise Salz besteht, kommt mit drei bis vier Zutaten aus.
E-Nummern sind nicht automatisch gefährlich, aber sie zeigen, dass Stoffe zugesetzt wurden, die über die Grundzutaten hinausgehen. Eine kurze Recherche – mittlerweile gibt es Apps, die E-Nummern beim Scannen des Barcodes erklären – schafft Klarheit darüber, was sich hinter den Codes verbirgt.
Versteckte Allergene und Unverträglichkeiten
Nicht zu unterschätzen sind Kreuzreaktionen. Kinder mit Birkenpollenallergie reagieren häufig auf bestimmte Proteine in Hafer. Wenn dann noch Aromen oder andere Zusatzstoffe hinzukommen, wird die Spurensuche nach der Ursache von Unverträglichkeiten kompliziert. Bauchschmerzen, Blähungen oder Hautreaktionen nach dem Konsum werden dann oft dem Hafer selbst zugeschrieben – dabei könnten Zusatzstoffe die eigentlichen Übeltäter sein.
Auch die Verarbeitung spielt eine Rolle. Manche Hersteller nutzen Enzyme, die als „Verarbeitungshilfsstoffe“ gelten und nicht deklariert werden müssen, da sie im Endprodukt angeblich nicht mehr nachweisbar sind. Für Allergiker kann selbst eine minimale Restmenge ausreichen, um Beschwerden auszulösen.
Was Eltern konkret tun können
Der erste Schritt ist das kritische Lesen. Nicht die Werbeversprechen auf der Vorderseite zählen, sondern die kleingedruckten Fakten auf der Rückseite. Je kürzer die Zutatenliste, desto besser. Ideal sind Produkte, die nur Hafer, Wasser und maximal Salz enthalten. Solche Varianten gibt es – sie sind nur schwerer zu finden und oft etwas teurer.
Beim Calciumgehalt lohnt sich der Vergleich mit anderen Quellen. Grünes Gemüse, Nüsse oder Sesam liefern den Mineralstoff in gut verwertbarer Form. Wer seinem Kind eine Portion Brokkoli oder ein Sesammus-Brot anbietet, deckt den Calciumbedarf möglicherweise effektiver als mit angereichertem Haferdrink.
Auch Eigenproduktion ist eine Option. Mit einem leistungsstarken Mixer lässt sich Hafermilch zu Hause herstellen – aus Haferflocken und Wasser, ohne jegliche Zusätze. Der Aufwand hält sich in Grenzen, und Kinder können sogar bei der Zubereitung helfen, was gleichzeitig ein Bewusstsein für echte Lebensmittel schafft.
Die Verantwortung liegt beim Verbraucher
Hersteller bewegen sich im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben. Was erlaubt ist, wird auch genutzt – schließlich geht es um Haltbarkeit, Geschmack und Verkaufszahlen. Verbraucherschutz beginnt deshalb beim informierten Einkauf. Eltern, die sich die Zeit nehmen, Produkte zu vergleichen und Zutatenlisten zu studieren, schützen ihre Kinder vor unnötigen Substanzen.
Die Lebensmittelindustrie reagiert auf Nachfrage. Je mehr Konsumenten zu Produkten mit kurzen, verständlichen Zutatenlisten greifen, desto eher werden Hersteller solche Varianten ausbauen. Jeder Einkauf ist eine Abstimmung darüber, welche Produkte Zukunft haben – und welche nicht.
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