Vorsicht beim Puten-Schnäppchen: Diese versteckte Kennzeichnung übersehen 9 von 10 Käufern

Wenn der Preis die Herkunft verschleiert

Wer im Supermarkt nach günstigen Fleischangeboten Ausschau hält, stößt unweigerlich auf Putenfleisch in der Aktionstheke. Die leuchtend roten Preisschilder versprechen Schnäppchen, während das verpackte Fleisch appetitlich präsentiert wird. Doch während unser Blick auf die Ersparnis gerichtet ist, gerät eine wesentliche Information oft aus dem Fokus: Woher stammt das Tier eigentlich, das auf unserem Teller landen soll?

Die Psychologie hinter dem Sonderangebot

Preisreduzierungen funktionieren nach einem bewährten Prinzip: Sie erzeugen Zeitdruck und lenken unsere Aufmerksamkeit gezielt auf den finanziellen Vorteil. Das menschliche Gehirn reagiert auf vermeintliche Schnäppchen mit einer Art Belohnungsimpuls, der kritisches Hinterfragen in den Hintergrund drängt. Genau dieser Mechanismus wird genutzt, um von anderen Produkteigenschaften abzulenken – und die Herkunft gehört zu den Informationen, die dabei besonders gern in der zweiten Reihe verschwinden.

Bei Putenfleisch im Angebot fällt auf, dass die Kennzeichnung der Herkunft zwar gesetzlich vorgeschrieben ist, aber oft so platziert wird, dass sie im Kaufmoment kaum wahrgenommen wird. Seit Februar 2024 gilt diese Kennzeichnungspflicht auch für unverpacktes Geflügelfleisch an der Frischetheke, bei verpacktem Fleisch besteht sie bereits seit Jahren. Kleine Schriftgrößen, Anbringung an ungünstigen Stellen der Verpackung oder eine Formulierung, die mehrmaliges Lesen erfordert – all das sind Strategien, die dazu führen, dass Verbraucher die Angaben übersehen oder nicht richtig einordnen können.

Herkunftsangaben: Was steht wirklich auf der Verpackung?

Die Kennzeichnung bei Geflügelfleisch folgt bestimmten Vorgaben, die jedoch Interpretationsspielraum lassen. Oft finden sich Angaben wie „aufgezogen in“ oder „geschlachtet in“, die unterschiedliche Länder nennen können. Was bedeutet das konkret? Bei Geflügel muss angegeben werden, wo das Tier aufgezogen und wo es geschlachtet wurde. Diese beiden Stationen können in unterschiedlichen Ländern liegen. Die Frage, welche dieser Stationen als „Herkunft“ gilt, ist nicht immer auf den ersten Blick eindeutig.

Verbraucher, die bewusst regionales Fleisch kaufen möchten oder bestimmte Tierschutzstandards bevorzugen, sollten genau auf diese Angaben achten. Interessanterweise zeigen einzelne Handelsketten mittlerweile durchaus Engagement für transparente Herkunft: So bezieht beispielsweise Aldi Süd seit März 2024 sein Putenfrischfleisch zu 100 Prozent aus Deutschland und ausschließlich aus Haltungsform 3. Solche Beispiele sind allerdings noch nicht die Regel im gesamten Einzelhandel.

Warum die Herkunft bei Putenfleisch besonders relevant ist

Anders als bei Rindfleisch, für das strengere Kennzeichnungspflichten gelten, ist die Rückverfolgbarkeit bei Geflügel weniger detailliert geregelt. Bei Rindfleisch müssen zusätzlich Geburtsland und Zerlege-Land angegeben werden, bei Geflügel beschränkt sich die Pflicht auf Aufzucht und Schlachtung. Das schafft Spielraum für unklare Angaben.

Dabei wären gerade bei Puten präzise Herkunftsinformationen wichtig: Die Haltungsbedingungen unterscheiden sich erheblich zwischen verschiedenen Produktionsformen. Entscheidend ist dabei weniger das Land als vielmehr die Haltungsform selbst. Kritiker wie Foodwatch weisen darauf hin, dass auch in Deutschland problematische Zustände vorkommen können – etwa bei der Hochgeschwindigkeitsmast mit 35-Tage-Zyklen, bei denen Antibiotikagaben und Erkrankungen häufig sind. Die Haltungsform ist daher oft ein aussagekräftigerer Qualitätsindikator als die bloße Länderangabe.

Wie Verpackungsdesign die Wahrnehmung beeinflusst

Die Gestaltung von Fleischverpackungen folgt klaren Marketing-Strategien. Großflächige Abbildungen von grünen Wiesen, ländlichen Szenerien oder glücklichen Tieren suggerieren eine Herkunft, die mit der Realität oft wenig zu tun hat. Diese Bilder prägen unsere Vorstellung vom Produkt stärker als die kleinen Textzeilen mit den tatsächlichen Angaben.

Bei Aktionsware wird zusätzlich mit auffälligen Hinweisen auf den reduzierten Preis gearbeitet. Das Auge springt automatisch zu diesen Elementen, während die Herkunftsangabe übersehen wird. Manche Verpackungen nutzen zudem verschiedene Sprachen oder Formulierungen, die für Laien schwer zu entschlüsseln sind. „Verarbeitet in“ bedeutet etwas anderes als „Herkunft“, und nicht jeder Verbraucher kennt diese feinen Unterschiede.

Praktische Tipps für den bewussten Einkauf

Wer trotz verlockender Angebote die Herkunft von Putenfleisch im Blick behalten möchte, sollte gezielt vorgehen. Der erste Schritt ist, sich bewusst zu machen, dass ein niedriger Preis oft mit Kompromissen bei Herkunft und Haltung einhergeht. Das bedeutet nicht, dass Sonderangebote grundsätzlich gemieden werden müssen – aber die Herkunftskennzeichnung verdient einen zweiten Blick.

Achten Sie auf die genaue Formulierung der Herkunftsangabe. Steht dort nur „geschlachtet in“, ist das ein Hinweis darauf, dass das Tier möglicherweise woanders aufgezogen wurde. Begriffe wie „Ursprung“ oder „aufgezogen in“ sind aussagekräftiger. Wenn mehrere Länder genannt werden, ist das ein Zeichen für eine komplexe Produktionskette, bei der das Tier verschiedene Stationen durchlaufen hat.

Die Rolle von Siegeln und Zusatzkennzeichnungen

Verschiedene Qualitätssiegel versprechen bessere Haltungsbedingungen oder nachvollziehbare Herkunft. Doch auch hier ist Vorsicht geboten: Nicht jedes Siegel hält, was es optisch suggeriert. Manche Label sind eigene Erfindungen von Händlern ohne unabhängige Kontrolle, andere wiederum garantieren tatsächlich höhere Standards.

Besonders aussagekräftig sind die Haltungsformen, die seit einigen Jahren standardisiert werden. Haltungsform 3 und höher gehen mit strengeren Anforderungen an Platzangebot und Haltungsbedingungen einher. Wer Wert auf dokumentierte Herkunft und bessere Tierhaltung legt, sollte gezielt nach solchen Zertifizierungen suchen. Diese kosten in der Produktion mehr, weshalb entsprechend gekennzeichnetes Fleisch selten im untersten Preissegment zu finden ist.

Die Lücke in der Gastronomie

Während im Supermarkt zumindest Kennzeichnungspflichten bestehen, sieht es in der Gastronomie anders aus. Über 50 Prozent des Geflügelfleisches in Deutschland wird in Restaurants, Kantinen und anderen gastronomischen Einrichtungen verzehrt – doch dort fehlt die verpflichtende Herkunftskennzeichnung vollständig. Die Geflügelwirtschaft und Verbraucherschützer fordern seit Jahren, diese Lücke zu schließen, bislang jedoch ohne Erfolg.

Wer außer Haus isst, hat derzeit kaum eine Möglichkeit, die Herkunft des Fleisches nachzuvollziehen. Dieser blinde Fleck betrifft einen erheblichen Teil des Konsums und zeigt, dass trotz Fortschritten im Einzelhandel noch erheblicher Nachholbedarf bei der Transparenz besteht.

Transparenz als Verbraucherrecht

Die aktuelle Gesetzeslage verlangt zwar Herkunftsangaben im Einzelhandel, lässt aber zu viel Raum für verschleiernde Darstellungen. Verbraucherschützer fordern seit Jahren klarere Regelungen, die eine eindeutige und gut sichtbare Kennzeichnung vorschreiben. Bis diese umgesetzt werden, liegt es an jedem einzelnen Käufer, durch kritisches Hinterfragen und bewusstes Einkaufsverhalten Druck für mehr Transparenz zu erzeugen.

Der Griff zum Sonderangebot ist menschlich und nachvollziehbar. Problematisch wird es erst, wenn die Preisgestaltung systematisch dazu genutzt wird, relevante Produktinformationen in den Hintergrund zu drängen. Putenfleisch unklarer Herkunft oder aus Haltungsformen mit niedrigen Standards mag günstig sein, entspricht aber möglicherweise nicht den Erwartungen, die Verbraucher eigentlich haben.

Ein bewusster Umgang mit Lebensmitteln bedeutet nicht zwangsläufig, auf Angebote zu verzichten. Es bedeutet aber, sich die Zeit zu nehmen, auch bei reduzierten Produkten genau hinzuschauen. Die Herkunft eines Lebensmittels ist keine Nebensächlichkeit, sondern eine zentrale Information, die maßgeblich über Qualität, Tierwohl und Produktionsstandards Auskunft gibt. Wer diese Informationen einfordert und beim Kauf berücksichtigt, trägt dazu bei, dass Transparenz im Handel zum Standard wird – unabhängig davon, ob das Produkt gerade im Angebot ist oder nicht.

Worauf achtest du beim Kauf von Putenfleisch zuerst?
Nur der Preis zählt
Herkunftsland ist entscheidend
Haltungsform prüfe ich immer
Kaufe grundsätzlich kein Putenfleisch
Nehme was im Angebot ist

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